Wie Kinder im Spiel die Welt entdecken

Warum das Spiel für Kinder so wertvoll ist

Bei den Elbkindern verstehen wir unsere Kitas als Bildungseinrichtungen. Manchmal bedarf es dann einer Erläuterung, weshalb Kinder bei uns „trotzdem“ so viel spielen. Steht das Spiel nicht im Gegensatz zu einer echten Bildungsanstrengung?

Kurze Antwort: Das kindliche Spiel ist eine absolut sinnvolle Handlung! Mit ihren spielerischen Aktivitäten erkunden Kinder die Gesetze der Welt und erfahren ihre Selbstwirksamkeit. Das Kind ist dabei im besten Sinne „Akteur seiner eigenen Entwicklung“, wie wir es in unserem ersten Qualitätsversprechen beschreiben. Es LERNT.

Im Spiel findet das Kind seine wichtigste Lebensaufgabe

In unserer ausführlicheren Antwort möchten wir näher beschreiben, was das Spielen alles ist, was es leistet und welch anspruchsvolle Aufgabe Kita-Fachkräfte erfüllen, wenn sie es vorbereiten und begleiten.


Für kleine Kinder ist alles, was sie in ihrer Umgebung vorfinden, interessant und wert, es zu erforschen.

Fühlen sie sich sicher und aufgehoben, sind sie unentwegt dabei, Neues zu entdecken und Erfahrungen zu machen. Spielend lernen sie dabei immer mehr über ihre zunehmend größer werdende Welt. Ein Kind fragt nicht nach Funktion oder Ziel des Spiels, sondern versenkt sich in ein Spiel mit meist sichtbarer Freude daran. Je nach Entwicklungsstand sucht sich das Kind entsprechende Tätigkeiten, die seiner Art der Weltaneignung entsprechen. Im Vordergrund des Spiels steht zunächst die sinnliche Erfahrung. Dem Kind geht es beim Spiel z.B. mit Materialien nicht darum ein Produkt herzustellen oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Im Spiel erweitert es vielmehr seine Handlungen, sammelt Erfahrungen über Raum, Ursache und Wirkung und verarbeitet seine Alltagserfahrungen, indem es die Menschen, die seinen Alltag begleiten, nachahmt. Kindliches Spiel zeichnet sich deshalb auch durch unermüdliche Wiederholungen und freudige Konzentration aus. Erst wenn das Spiel erschöpft ist, kann das zweckfrei Angeeignete für zielorientierte Handlungen genutzt werden. Erst wenn das spielende Kind z. B. immer wieder die Eigenschaften des Tonklumpens durch unterschiedlichste Manipulationen erfahren hat, kann es interessant werden, daraus ein bestimmtes Objekt zu formen.

Kindliches Spiel ist mehr als eine von Erwachsenen geplante Aktivität. Es ist vor allem die Eigenaktivität des Kindes, es ist die Erfahrung, etwas bewirken zu können und spannende, alle Sinne herausfordernde Entdeckungen zu machen.

Elementare Spielhandlungen

Die scheinbar sinnlosen Handlungen besonders der jüngeren Kinder unter 3 Jahren sind in Wahrheit echte Forschungstätigkeiten. Auf der ganzen Welt kann man dabei dieselben Handlungsmuster beobachten. Pädagogen wie Eltern können die Kinder mit einfachen Materialien und Spielen unterstützen:

Verstecken – hinter Oberflächen gelangen – umhüllen

Jeder kennt das Kuckuck-Spiel: Ich bin weg, da bin ich wieder! Das funktioniert mit Menschen und Dingen gleichermaßen und das Thema kennt unzählige Variationen. Es ist verwandt mit dem Umhüllen und den Versuchen, hinter Oberflächen zu gelangen. Objektpermanenz ist das Stichwort: Etwas kann da sein, auch wenn man es nicht sieht. Die Kinder machen außerdem die Erfahrung von Abschied und Wiedersehen, von Verlust und Wiederfinden von Gegenständen.

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: Tücher, Schüsseln, Taschen, Boxen, Fingerspiele, ein- und auspacken, Sachen ausgraben, Obst schälen …

Transportieren – Die Position verändern – Umzäunen

Bei diesen Spielschemata geht es neben Selbstwirksamkeit auch um die Raumerfahrung und
-perspektive und die Erfahrung, dass die Veränderung der Position im Raum die Dinge und die Wahrnehmung beeinflussen.

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: Dinge zum Transportieren und Transportmittel jeglicher Art vom Spiellaster bis zum Puppenwagen, Korb, Tasche, Kiste, Pappröhren, Kriechtunnel, Pikler-Dreieck, Podeste, Material zum Höhlenbau, große Papierbahnen zum Bemalen …

Das Fallen untersuchen

Kinder sind fasziniert von der Schwerkraft. Sie wirkt so verschieden auf Schweres und Leichtes und bei der Ankunft am Boden ereignen sich die unterschiedlichsten Sensationen bei Sand oder Wasser, Porzellan und Gummiball…

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: Wasserflaschen mit Glitzerteilchen, Murmelbahn, Wasserspiele…

Der Klang der Dinge

Die Dinge (und Menschen), die uns umgeben, machen die verschiedensten Geräusche, und wir können sie erzeugen und endlos variieren.

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: selbstgemachte Rasseln aus Flaschen, Dosen oder Luftballons, Ketten, Töpfe, Trommeln usw.

Rotation

Dinge und Menschen können sich drehen. Kinder untersuchen gern, wie dies vor sich geht und was sich dadurch verändert und experimentieren mit der Fliehkraft. 

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: Brummkreisel, Drehscheiben, Spiel-Wagen aller Art, Kreisspiele mit der Kindergruppe, Karussell usw.

Verbinden und trennen

Viele Dinge bestehen aus Einzelteilen, die man zusammenfügen und auseinandernehmen kann – für Kinder ein faszinierender, fast magischer Vorgang, den sie mannigfaltig erleben, vom Sand über Duplosteine bis zum Reißverschluss.

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: Spiel-Schrauben, Bausteine, Wäscheklammern, Basteln mit Klebeband, Sandspiele usw.

Ordnen

Die Dinge haben ihren Platz und man kann sie auf verschiedene Art sortieren: nach Größe, Farbe, Eigenschaft…

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: große Mengen sortierbaren Materials jeder Art (z.B. Nudelsorten, Duplo), Rituale, Steckbretter usw.

Balance

Mit Balance hebeln wir die Schwerkraft aus, die Dinge oder wir selbst bleiben stehen.

Bereitstellen / Spiel-Beispiele: Roller und Laufrad, Stöcker im Sand, Wippen, auf einem Bein stehen, Balancieren usw.

Die Spiel-Arten des Kinderspiels

Im Rollenspiel imitieren Kinder gerne Personen und Situationen, die sie täglich sehen und erleben. Dabei üben sie Fertigkeiten und soziale Kompetenzen ein, die sie fürs Leben brauchen. Wird das Spiel langsam zur Realität, ist dies für die Kinder eine willkommene Entwicklungsgelegenheit, sie können beispielsweise beim Decken des echten Mittagstisches mithelfen und sich auf weitere Arten wirkungsvoll am Kita-Alltag beteiligen.

Dass Kinder gerne Herausforderungen angehen, kann man bei fast allen ihren Tätigkeiten beobachten.

Kinder lieben es, ihre eigenen Kompetenzen auszuprobieren und immer weiter zu steigern. Dieses Üben ist oft anstrengend und nicht immer von Erfolg gekrönt. Die Lust am ‚Können wollen‘ ist bei fast allen Kindern so groß, dass sie es mit großem Durchhaltevermögen immer wieder versuchen. Diese Spielart zeigt sich bei den Bewegungsarten und der Beherrschung von Geräten wie Ball oder Fahrrad. Sie animiert zu immer neuen Ideen bei kreativen Tätigkeiten, auch Tischspiele wie Puzzles und Memory enthalten dieses Element. Ein zusätzlicher Antrieb kann der Wettbewerb zwischen Kindern sein. Dass man aber endlich etwas kann, was man am Vortag noch nicht konnte, ist die ultimative Belohnung.

Kinder mögen auch gern Geschichten spielen. Sie lassen sich von Büchern und anderen Erzählungen dazu inspirieren, ganze Geschichten zu erfinden und von Anfang bis Ende nachzuspielen. Richtig viel Spaß macht es

mit Kulissen, Requisiten und Verkleidung. Handpuppen helfen Kindern, Abstand zur eigenen Person herzustellen und sich beim Spielen in eine andere Rolle hineinzuversetzen. Diese Spielart wird vollkommen durch die Aufführung vor Zuschauern – eine besondere Gelegenheit, die Bedeutung und den Erfolg von Teamwork zu erfahren. Ein zusätzlicher Lohn liegt in der Begeisterung und im Applaus des Publikums.

Zusammen genießen heißt, den Genuss und die Freude am Tun nochmal zu erhöhen. Denn auch wenn Kinder ganz versunken alleine spielen können: Das Spielen mit anderen ist unverzichtbar.

Die Rolle der Pädagogen

Kritiker argwöhnen, dass Lernen und Bildung unter dem Freispiel leiden könnten. Dahinter steht ein Bildungsverständnis, das mit schulischen Angebotsformen assoziiert wird. Dabei stellen die Spielideen der Kinder Entwicklungsherausforderungen dar, das Erreichen immer höherer Stufen gehört zum Spiel dazu – und die Kinder tun es aus eigenem Antrieb. Inzwischen bestätigt die Hirnforschung: Kinder lernen am schnellsten und am nachhaltigsten in inhaltlichen Zusammenhängen, in sozialen Settings, zu Themen, die sie betreffen und deshalb interessieren.

 Das Freispiel ist keine Pause für die Fachkräfte! Sie haben vielmehr die bedeutsame Aufgabe, den Kindern geeignete Rahmenbedingungen für freies Spiel zu sichern:

Die wichtigste Bedingung für Kinderspiel ist Zeit und Ungestörtheit. Ein Spiel muss sich entwickeln können und braucht Räume in den Zeitstrukturen einer Kita – und manchmal auch etwas Flexibilität, Geplantes zugunsten eines andauernden Spiels aufzuschieben. Hinzukommen muss ausreichend Platz, den man frei bespielen darf. Natürlich sind Spielmaterialien nicht verzichtbar, aber wie man in spielzeugfreien und Wald-Kitas oder in der Reggio-Pädagogik weiß: Kinder sind erfinderisch und verwandeln alles, was sie in ihrer Umgebung finden, in Spielmaterial. Man braucht auch Mitspieler, und hier sind auch die pädagogischen Fachkräfte manchmal gefragt. Sie stellen sich selbst als Mitspieler zur Verfügung oder vermitteln das Zustandekommen einer Spielergruppe. Und kindliches Spiel braucht Entscheidungsfreiheit. Die besten Spiele von Kindern entstehen nicht selten aus der Erfahrung von Langeweile. Deshalb ist Zurückhaltung der Fachkräfte ratsam.

Die pädagogischen Fachkräfte sichern nicht nur die Rahmenbedingungen. Sie beobachten genau, halten sich zurück und steuern nur dann behutsam nach, wenn ein Kind keinen Spielpartner findet oder trotz längeren Überlegens keine Spielidee hat. Wenn die Kinder sie einladen, spielen sie mit, agieren aber zurückhaltend mit eigenen Vorschlägen. Sie greifen Spielideen der Kinder auf, lassen sich darauf ein und verhelfen diesen durch diskrete Vorschläge zum Erfolg.

Kindliches Spiel ist durch nichts zu ersetzen. Kein Lern- und Bildungsangebot hat die gleichen positiven Effekte und die gleichen Entwicklungsanreize. Es verhilft Kindern zu einem erfüllten ‚heutigen Tag‘, der die Vorbereitung auf Zukunft nicht plant oder vorstrukturiert, sondern im Vertrauen auf das kompetente Kind dessen Eigenaktivität überlässt.

Was können Eltern für sich mitnehmen?
Auch im Familienleben gelten die Grundbedingungen für gelingendes Spiel. Hier sind es die Eltern, die dafür sorgen können, dass ihre Kinder Zeit und Raum, Material und Mitspieler zum Spielen erhalten.

Die allermeisten Haushalte stecken voller wunderbarer Zutaten für Spiele aller Art. Wir haben hier einiges an Inspiration für Sie zusammengetragen – suchen Sie einfach etwas aus!

Kreative Spielideen

Blinde Kuh - die Suchmaschine für Kinder - mit vielen Fundsachen ...

Auch der Nähfrosch hat gute Ideen ... Und nicht nur zum Nähen.

https://www.betreut.de/wp-content/uploads/sites/19/2019/06/101-Things-to-Do-When-Kids-Say-IamBored_simu_v2.png

Filmausschnitt "Spielen und Bewegung" aus dem Film "Schlüsselsituationen im Krippenbereich"

Quellen:

Dr. Franziska Larrá: „Kinder spielen sich ins Leben“. Jahresbericht der Elbkinder 2016/2017

Elbkinder Materialien: Schlüsselsituationen in der Krippenarbeit, 2018

Antje Bostelmann und Michael Fink: Elementare Spielhandlungen von Kindern unter 3 – Erkennen, Begleiten, Fördern. Bananenblau – Der Praxisverlag für Pädagogen, 2013