Ein Interview mit Ana Petrobella über den Boys’Day
Nachwuchs fördern frei von Geschlechterklischees
In sozialen Berufen sind Männer oft unterrepräsentiert, auch bei den Elbkindern beträgt die Frauenquote 86 Prozent. Der bundesweite Boys’Day – Jungen-Zukunftstag will das ändern. Schüler ab der 5. Klasse erhalten beim eintägigen Schnupper-Praktikum einen Einblick in Berufe, in denen weniger Männer arbeiten. Beim Girls’Day machen Schülerinnen praxisnahe Erfahrungen in Berufen, die eher mit Männern in Verbindung gebracht werden. Mitmachen können alle Unternehmen, die weniger als 40 Prozent Frauen bzw. Männer beschäftigen.
Der nächste Boys’Day steht am 3. April vor der Tür. Die Elbkinder beteiligten sich wieder an vielen Standorten am Aktionstag. Ana Petrobella aus der Kita Emilienstraße berichtet im Interview mit Alina Gurski, Personalreferentin für Personalgewinnung, wie der Tag in der Praxis aussieht – und warum der Einblick in die pädagogische Arbeit für junge Menschen so wichtig ist.
Ana Petrobella arbeitet seit über 30 Jahren in der Kita in Eimsbüttel und ist ein richtiger „Elbkinder-Fan“. Denn sie konnte bei den Elbkindern viel mitgestalten: Die „Macherin“ hat zum Beispiel die offene Arbeit miteingeführt, eine Lernwerkstatt mitentworfen und eine Kita-Dependance mitaufgebaut.
AG: Schön, dass Sie die Arbeit bei den Elbkindern so begeistert. Nutzen Sie den Boys’Day auch, um Ihre Leidenschaft für die Pädagogik mit den Jungen zu teilen?
AP: Ja, genau. Ich finde, der Boys’Day ist eine tolle Möglichkeit für die Jungen. Deshalb haben wir als Kita schon häufiger am Boys’Day teilgenommen. Manchmal kommen ehemalige Kita-Kinder, manchmal sind es Kinder, die wir noch nicht kennen. Beim letzten Boys’Day hatten wir drei Kinder bei uns, auf die Gruppen verteilt.
AG: Was gibt es zu beachten, wenn man am Boys’Day als Einrichtung teilnehmen möchte?
AP: Es ist wichtig, dass das ganze Team hinter der Idee des Boys’Day steht und die Teilnahme befürwortet. Die Jungen müssen tagsüber begleitet werden, sie laufen mit und stellen viele Fragen. Wichtig ist, dass sie sich willkommen fühlen und man auf sie zugeht. Nur so gelingt es, dass die Jungen etwas lernen – und sie sich später bei der Berufswahl daran erinnern.
AG: Gibt es eine Situation vom Boys’Day, an die Sie sich nachhaltig erinnern?
AP: Ein Junge war 11 Jahre alt und hat ein Angebot zum Basteln mit viel Mühe und Elan vorbereitet. Das war wirklich toll. Ich war ganz erstaunt, wie vernünftig er vorgegangen ist und wie gut er alles geplant hat. Die Kinder fanden es auch klasse – und am Ende haben wir das Gebastelte natürlich aufgehängt.
AG: Wie reagieren die Kita-Kinder auf die nicht so viel älteren Jungen?
AP: Also in unserer Gruppe nehmen sie es sehr gut an. Durch die Pandemiezeit und die damit verbundenen Vertretungen sind unsere Kinder sehr offen und gehen auf Besucher zu. Selbst Kinder, die etwas zurückhaltender sind, öffnen sich nach einer Zeit. Häufig gucken sie zu und beobachten, wie wir mit den Jungen umgehen. Wir schaffen natürlich auch Berührungspunkte. Aber es gibt auch einige Kinder, die gar keine Berührungsängste haben und direkt auf die Schüler zugehen.
AG: Und wie ist das für die Jungen?
AP: Das ist wirklich interessant. Die meisten Jungen finden sich schnell in ihre Rolle ein. Oft haben sie Erinnerungen aus ihrer Zeit in der Kita. Manche Jungen waren selbst als Kind bei uns in der Betreuung. Und dann stehen sie im Bewegungsraum und nehmen den Raum ganz anders wahr. Der ist dann plötzlich viel kleiner als in ihrer Erinnerung. Als sie selbst kleiner waren, wirkte der Raum größer. Den Perspektivwechsel finde ich im Dialog mit den Kindern sehr spannend.
Kinder, die nicht in unserer Kita waren, stellen wiederum Unterschiede fest. Beispielsweise, wenn sie in ihrer Kita ihr Essen immer aufessen mussten – und bei uns erleben, dass das Kind selbst entscheiden darf, wie viel es essen möchte. Wenn sie davon erzählen und nachfragen, kann ich selbst vieles nochmal reflektieren. Durch so simple Fragen wie „Wieso ist das so?“ stellt man in der Entwicklung fest, dass früher vieles anders gehandhabt wurde.
AG: Was glauben Sie, wie viele der Jungen wollen später im Sozialwesen arbeiten?
AP: Häufig wissen die Jungen nur, ob sie sich die Arbeit im sozialen Bereich mit Menschen vorstellen können oder eher weniger. Aber ich glaube, früher war das anders. Früher hatten die jungen Leute eine Vorstellung von Ausbildung und Berufsleben. Heute sind die Kinder weniger involviert in das Berufsleben anderer und nur wenige haben eine gewisse Vorstellung. Aber sie sind auch eben noch sehr jung und eine gewisse Reife fehlt ihnen noch – sie haben ja auch noch Zeit. Dafür sind der Boys’Day und Praktika auch sehr gut. Wenn sie dann ihren Schulabschluss machen, sind die Weichen gestellt und einige wissen schon, in welche Richtung sie gehen möchten.
AG: Was nehmen die Jungen nach dem Boys’Day für sich mit?
AP: Also erstmal finde ich es bemerkenswert, wie viel Mut sie aufweisen. Sie treten in eine für sie neue „Welt“ ein. Das fordert auch einiges an Selbstbewusstsein und Vertrauen. Sie entdecken neue Dinge, sind neugierig und probieren sich aus. Das stärkt sie mit Sicherheit. Und ganz wichtig ist, dass sie Spaß haben. Letztlich verbringen sie einen Tag in ihrer Kindheit, vergleichen und wechseln ihre Perspektive. Da kommen viele Erinnerungen hoch.
AG: Den Perspektivwechsel finde ich spannend.
AP: Ja. Nicht alle Kinder haben Geschwister und die Möglichkeit, das Miteinander mit jüngeren Kindern zu erlernen. Das ist sehr wichtig. Schließlich müssen wir auch in der Gesellschaft aufeinander achten. Wenn ich sehe, das Kind braucht Hilfe, die Tür zu öffnen, weil es noch zu klein ist, dann helfe ich. Wenn ich später sehe, jemand braucht Hilfe beim Einsteigen in den Bus, dann helfe ich auch. Ich denke, für die Jungen ist es sehr wichtig unser Miteinander zu beobachten, also wie wir mit den Kindern umgehen. Und wir sind Vorbilder. Es ist auch wichtig, dass wir Klischees und Rollenbilder aufbrechen. Ich als Erzieherin gehe auch in den Garten, wenn ein Rohr leckt. Es sagt ja keiner, dass das mein Kollege machen muss.
AG: Ja, das stimmt. Und genau das liegt dem Boys’Day zugrunde. Vielen Dank für Ihre Zeit und den spannenden Austausch!
AP: Es hat mich gefreut. Tschüss!