Ein Gespräch mit den Autorinnen über ihre Idee, die Herausforderungen und die Bedeutung von Gebärdensprache

Elbkinder-Fachkräfte entwickeln inklusives Kinderbuch

In der Elbkinder-Kita Osterbrook entstand ein besonderes Projekt: Drei pädagogische Fachkräfte entwickelten das gebärdenunterstützte Kinderbuch ‚Zwei Blätter‘. Es erzählt nicht nur von Vielfalt und Zusammenhalt, sondern steht selbst für gelebte Teilhabe. Das Herzensprojekt verfolgt ein klares Ziel: Gebärdensprache sichtbar machen, denn alle profitieren davon.

Im Interview berichten die Autorinnen Jana Feierabend, Nele Kasten-Guhl und Manja Kretschmer dem Team Unternehmenskommunikation (Nina Cerezo und Yvonne Ehnert), wie das Buch entstand, warum Gebärden den Kita-Alltag bereichern und welche Wünsche sie für die Zukunft haben.

N. Cerezo: Ihr haltet Euer erstes eigenes Buch in den Händen – wie fühlt sich das an?

Alle: Ziemlich aufregend.
M. Kretschmer: 2 Jahre nach der ersten Idee das Ergebnis zu sehen: Das macht uns stolz.

N. Cerezo: Wie kamt ihr damals auf die Idee?

N. Kasten-Guhl: Manja und Jana hatten im Sommer 2023 das Thema „Wetter“ in ihrer Gruppe. Dazu haben sie ein Plakat mit Gebärden für die Kinder gemacht und ich habe die Bilder gemalt. Da dachten wir: Warum nicht gleich ein ganzes Buch?

M. Kretschmer: Unsere Kita stand damals noch ziemlich am Anfang mit Gebärdensprache. Wir haben uns immer wieder die Frage gestellt, wie wir unterstützte Kommunikation und Gebärdensprache mehr in die Gruppen und den Kita-Alltag bekommen. Da war uns klar: Wir brauchen Bücher. Also kam eins zum anderen.
J. Feierabend: Die Idee ließ uns nicht mehr los. Als Manja und ich am nächsten Morgen in die Gruppe kamen, hatten wir für die Geschichte dieselbe Idee – das war schon ein Wow-Moment. Nele hat dann noch in ihrem Urlaub die ersten Bilder dazu gemalt.

Y. Ehnert: Euer Buch war also als Arbeits- und Hilfsmittel gedacht, weil es nichts Optimales gab?

M. Kretschmer: Genau. Wir haben gemerkt, wie sehr unsere Kinder die Gebärden aufgesogen haben. Sie haben so schnell gelernt. Auf unserer Suche nach geeigneten Büchern sind wir aber nicht fündig geworden – wir wollten etwas, mit dem sich die Kinder auch eigenständig Gebärden erschließen können.

N. Cerezo: Wovon handelt die Geschichte in „Zwei Blätter“?

M. Kretschmer: Um Vielfalt und Gemeinschaft. Anhand des Wetters wollen wir zeigen: Jeder und jede ist wichtig und leistet einen wertvollen Beitrag. Wir brauchen Regen genauso wie Sonne – alle tragen etwas bei und alles gehört auch zusammen.
J. Feierabend: Eigentlich wollten wir unsere Geschichte damals nur als Fotobuch für unsere Gruppe drucken. Dass alles größer wurde, kam, weil wir dem Leitungsteam davon erzählt haben – wir brauchten ja das Geld für das Fotobuch. Und dann wuchs die Idee.

N. Cerezo: Stimmt, das Leitungsteam kam dann auf uns zu. Also haben wir uns zusammengesetzt. Euer Tenor war schnell klar: Ihr wolltet das Buch in so viele Elbkinder-Kitas wie möglich bringen. Woher kommt euer Interesse für Gebärdensprache?

M. Kretschmer: Als Ebru Esen bei uns als Leitungsvertretung anfing, erzählte sie, dass sie Gebärdensprache studiert hat. Das hat uns neugierig gemacht. Deshalb haben wir sie gefragt, ob sie uns ein bisschen was zeigen kann. Gerade für mich als Heilpädagogin sind Gebärden sehr hilfreich, weil ich Kinder immer auch nonverbale Kinder betreue, denen es schwerfällt, in die Sprache zu kommen.
N. Kasten-Guhl: Ebru hat dann angeboten, vor Kita-Beginn Gebärdensprache zu unterrichten. Also kamen morgens um 7 Uhr rund 20 Kolleg:innen zusammen, um freiwillig Gebärden zu lernen.
J. Feierabend: Der Unterricht hat sich fest etabliert. Nachdem die Kita Osterbrook der zweite Standort für gehörlose Kinder geworden ist, wurde das Angebot dann verpflichtend. Und wir lieben es – und die Kinder sowieso! Im Team halten wir uns auch immer den Rücken frei, dass alle Kolleg:innen an den Intensivkursen für Deutsche Gebärdensprache (DGS) teilnehmen können. Das ist schon eine tolle Sache, so vom Träger unterstützt zu werden.

N. Cerezo: Jana, Du bist seit einem halben Jahr Leitungsvertretung in der Kita Hegholt und förderst dort auch Gebärdensprache. Wie wird das angenommen?

J. Feierabend:Gut. Manche sind noch so ein bisschen skeptisch, aber viele sind richtig motiviert. Zwischen fünf und zehn Kolleg:innen kommen aktuell zu meinem Unterricht. Dass sie Gebärdensprache auch schon im Kita-Alltag integrieren, merken wir daran, dass auch die Kinder schon gebärden – sie machen das richtig toll. Deshalb hoffe ich, dass ich noch mehr Teammitglieder motiviert bekomme.

Y. Ehnert: Was macht Gebärdensprache für Euch im Kita-Alltag so wertvoll?

N. Kasten-Guhl: Gebärden sind nicht nur für Kinder mit Integrationsplatz hilfreich, sondern für alle, die sprachlich noch nicht so weit sind – zum Beispiel, weil sie mehrsprachig aufwachsen. Wenn jemand etwas mit den Händen zeigt, ist die Aufmerksamkeit sofort da. Die Kinder schauen hin und machen automatisch mit.
M. Kretschmer: Genau. Wir haben viele Kinder, die in Flüchtlingsunterkünften leben und deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Mit Gebärden können sie ihre Bedürfnisse mitteilen und sich auch untereinander verständigen. Wie schnell das geht, merken wir selbst: Gebärdensprache zu lernen ist viel einfacher als eine Fremdsprache. Die Bewegungen zum Wort prägen sich einfach schneller ein.
N. Kasten-Guhl: Und das Verständnis ist sofort da. Die Kinder fühlen sich gesehen und verstanden, wenn sie etwas zeigen können. Sie hören und sehen die Sprache gleichzeitig. Und Studien belegen ja auch, dass Bewegung viel mit Spracherwerb zu tun hat.
M. Kretschmer: Gebärdensprache ist auch einfach so prägnant: Anstelle von „Kann mir jemand den schwarzen Mülleimer geben“ heißt es nur „schwarzer Mülleimer“ – da ist die Chance größer, dass das Richtige bei den Kindern ankommt. Und die Sprechenden sind deutlich mehr in Kontakt: Sie gucken sich in die Augen. Das stärkt die soziale und emotionale Bindung.

Y. Ehnert: Wie kommt Gebärdensprache bei den Eltern Eurer Kita-Kinder an?

N. Feierabend: Einmal erzählte eine Mutter, dass sie unterwegs von einer gehörlosen Frau nach einer Toilette gefragt wurde. Ihr Sohn – damals gerade vier Jahre alt – hat die Gebärde sofort erkannt und konnte übersetzen. Das zeigt, wie schnell Kinder Gebärden verinnerlichen und wie praktisch sie auch im Alltag sein können.
N. Kasten-Guhl: Wir greifen das Thema auch auf unseren Elternabenden auf. Einmal haben wir alle gebeten, ihren Namen mit Gebärden zu buchstabieren. Anfangs fanden das manche Eltern anstrengend, aber nach und nach wurde es für viele interessant. Sie waren froh zu verstehen, was ihre Kinder in der Kita erleben und was sie ihnen zu Hause zeigen wollen. Eine Mutter war sogar so begeistert, dass sie sich für einen DGS-Kurs angemeldet hat.
M. Kretschmer: Es gibt auch immer wieder Eltern, die anfangs Sorge haben, dass ihr Kind durch Gebärden später mit dem Sprechen beginnt oder länger braucht, die Sprache zu lernen. Inzwischen wissen alle, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Gebärden unterstützen den Spracherwerb und fördern die Kommunikation.

N. Cerezo: Was würdet Ihr Euch für die Gebärdensprache wünschen?

Alle: Mehr Sichtbarkeit.
M. Kasten-Guhl: Und weniger Berührungsängste. Es wäre schön, wenn sich mehr Menschen trauen würden, auf eine gehörlose Person zuzugehen und einfach zu sprechen. In den meisten Fällen wird man verstanden, weil viele Lippenlesen können – das erlebe ich auch bei meiner neuen Kollegin immer wieder. Ich wünsche mir mehr Offenheit.
J. Feierabend: Es gibt ja bereits den Trend mit BabySignal. Das ist schon recht verbreitet und wird in den sozialen Medien stark beworben. Wir hoffen, dass dieser Trend anhält und abfärbt.
M. Kretschmer: Ich frage mich auch: Warum wird Gebärdensprache nicht als Fremdsprache in der Schule oder Ausbildung angeboten? Es geht ja nicht nur um den vermeintlich kleinen Kreis gehörloser Menschen. Unterstützte Kommunikation und Gebärden helfen im Alltag – und wie wir sehen, ganz besonders in der Kita und in der frühkindlichen Bildung. Und sowieso ist Gebärdensprache eine der schönsten Sprachen überhaupt.

N. Cerezo: Danke für dieses schöne Schlusswort – und den spannenden Austausch!

Alle: Wir danken auch!

Das spendenfinanzierte Buch „Zwei Blätter“ findet im Dezember 2025 Einzug in alle Elbkinder-Kitas. Bei Fragen oder Anmerkungen zum Projekt wenden Sie sich gern an die Kita Osterbrook.

 

Foto: Die Autorinnen des gebärdenunterstützten Buchs "Zwei Blätter" (v.l.n.r.): Manja Kretschmer, Nele Kasten-Guhl und Jana Feierabend. © Elbkinder